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Interview NIV-Revision mit Thomas Keller und Daniel Otti

Die Ankündigung einer NIV-Totalrevision vom Bundesrat im Juni 2024, hat für Unsicherheit in der Branche gesorgt. Thomas Keller und Daniel Otti versuchen, Antworten auf dringende Fragen zu geben.
Die Niederspannungs-Installationsverordnung (NIV) steht vor einer umfassenden Revision – ein wichtiger Schritt für die Elektrobranche. Im Interview geben Thomas Keller, Präsident von EIT.swiss, und Daniel Otti, Geschäftsführer des Eidgenössischen Starkstrominspektorats (ESTI), Einblick in die Hintergründe, Ziele und Herausforderungen der geplanten Anpassungen. Sie erklären, was sich für die Branche ändern könnte und welche Bedeutung die Revision für Sicherheit, Qualität und berufliche Praxis hat.
Warum braucht es eine Niederspannungsinstallationsverordnung?
tk: Die Niederspannungsinstallationsverordnung (NIV) regelt die Arbeiten an Nieder-Spannungs-Installationen, deren Kontrollen und die dafür notwendigen Bewilligungen. Sie ist damit das zentrale Regelwerk für qualitativ hochwertige, sichere und zuverlässige Installationen. Ohne NIV sind diese Ziele im heutigen Ausmass nicht sichergestellt.
do: Artikel 3 des Elektrizitätsgesetzes (EleG) verpflichtet den Bundesrat, Vorschriften zur Vermeidung von Gefahren und Schäden zu erlassen, die durch Stark- und Schwachstromanlagen entstehen können. Die NIV konkretisiert diesen Auftrag im Bereich der Haus- bzw. Niederspannungsinstallationen. Leib und Leben von Menschen und Tieren gehören zu den höchsten Rechtsgütern; ihr Schutz gebietet eine gewisse, verhältnismässige staatliche Regulierung.
Was sind die Hauptgründe für die geplante Revision der NIV? Und welche übergeordneten Ziele werden damit verfolgt?
tk: Das Eidgenössische Starkstrominspektorat (ESTI) kann aus Kapazitätsgründen und mangelnder Finanzierung die Aufsichtspflicht nicht wahrnehmen. Einen Neuaufteilung der Aufgaben resp. Neugestaltung der NIV ist auch angebracht, weil sich die NIV in der Vergangenheit durch Änderungen zu einem immer komplexeren Werk entwickelt hat.
do: Die geltende NIV stammt in ihrer Grundstruktur aus dem Jahr 2001 und wurde seither mehrfach punktuell angepasst, um die sich in der Praxis offenbarenden Schwächen bestmöglich zu korrigieren. In der Praxis haben sich dennoch erhebliche, zu Vollzugsproblemen führende Defizite wie hohe Komplexität und Detailtiefe, Überregulierung und ungenügende Risikoorientierung, gezeigt. Die Totalrevision verfolgt das Ziel, ein praxistaugliches, risikoorientiertes und zukunftsoffenes Regelungswerk zu schaffen, ohne das bestehende Sicherheitsniveau abzusenken. Insbesondere soll die Aufsicht über elektrische Niederspannungsinstallationen modernisiert und das ESTI von Aufsichtsaufgaben entlastet werden (siehe BR-Beschluss vom 14. Juni 2024).
Wie ist der aktuelle Stand im Revisionsprozess?
tk: Seitens des BFE wurde kommuniziert, dass ein erstes Grundlagenpapier als Diskussionsgrundlage Ende Q3/2025 den hauptsächlich betroffenen Verbänden vorgelegt wird. In diesem Prozess scheint es Verzögerungen zu geben, die wir als unproblematisch anschauen. Wichtiger als die Geschwindigkeit ist eine gute Lösung für die Elektrobranche.
do: Das Grundlagenpapier wird fertiggestellt: Das BFE strebt an, diese Arbeiten gemäss aktueller Planung bis voraussichtlich Ende 2025 zu finalisieren.
Das aktuelle System hat sich in der Vergangenheit bewährt, warum soll gewechselt werden?
tk: In letzter Zeit sind grosse Herausforderungen an die Energiebranche herangetreten: Die Energiewende mit Energieerzeugung und -speicherung, sowie Digitalisierung und neue Technologien, um nur einige der Herausforderungen zu nennen. Aber auch die Weisungen und Normen haben sich verändert. Dies spricht für die Notwendigkeit einer zumindest gewissen Anpassung.
Welche Priorität hat diese Revision?
tk: Für EIT.swiss hat die NIV höchste Priorität. Die NIV steht für vieles bei EIT.swiss. Sie ist die Basis für die Ausgestaltung der Grund- und der höheren Berufsbildung. Zudem legt sie das Fundament für qualitativ hochwertige, zuverlässige und sichere Installationen. Dies zum Wohle der gesamten Gesellschaft, die auf sichere und funktionierende Installationen angewiesen ist.
do: Mit Beschluss vom 14. Juni 2024 hat der Bundesrat dem UVEK/BFE den Auftrag erteilt, ihm bis Ende 2026 eine Vernehmlassungsvorlage zur einer Totalrevision der NIV vorzulegen, welche die Aufsicht über elektrische Niederspannungsinstallationen modernisiert und das ESTI von Aufsichtsaufgaben entlastet.
Was ist für EIT.swiss bei der NIV-Revision wichtig?
tk: Dass die Rahmenbedingungen klar und umsetzbar bleiben. Wir haben x-mal gesagt, dass die Installationsbewilligung und die Fachkundigkeit oberste Priorität für EIT.swiss haben. Sie garantieren Sicherheit und Qualität. Eine neue Verordnung, die nur noch mehr administrativen Aufwand mit sich bringt, lehnen wir entschieden ab.
Was ist für das ESTI wichtig und vertritt es beim BFE als deren fachliche Berater für die NIV-Revision?
do: Für das ESTI hat die elektrische Sicherheit und somit die Vermeidung von Unfällen und Schadenfällen die höchste Priorität. Wichtig sind risikobasierte, wirkungsvolle, verhältnismässige, nachvollziehbare und umsetzbare Regelungen. Das ESTI begleitet die Totalrevision fachlich und aus der Perspektive der Praxis.
Wie arbeiten das ESTI und EIT.swiss bei dieser Revision zusammen?
tk: Zwischen dem ESTI und EIT.swiss gibt es einen stetigen und nahen Austausch auf höchster Ebene. Trotzdem wäre etwas mehr Information förderlich. Viele unserer Mitglieder sind der Meinung, wir seien zu wenig involviert. Die News sollten aber vom BfE kommen. Ich darf aber auch erwähnen, dass wir Berichte des BfE zur Revision publiziert haben und der Vizedirektor des BfE, Roman Mayer, an einer Delegiertenversammlung informiert hat. Gibt es Neuigkeiten zum geplanten Grundlagenpapier und zum Normkonzept? Leider nein, angedacht war Q3/2025. Zum heutigen Stand des Interviews (22.09.2025) warten wir auf die ERFA-NIV Sitzung vom 23.09.2025 und erwarten dort ein Update über den Stand der Dinge.
do: Die Revision der NIV wird durch das BFE als federführende Behörde vorbereitet. Es ist wichtig, dass die Revision sorgfältig überdacht und auf ihre Auswirkung evaluiert wird, um sicherzustellen, dass sie insbesondere den gesetzlichen, technischen, sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen gerecht wird. Eine breit angelegte Konsultation von Fachleuten/Fachverbänden (wie EIT.swiss), sonstigen Betroffenen und der Öffentlichkeit ist wichtig, um Stärken und eventuelle Schwachstellen zu erkennen und adäquat zu adressieren.
Gibt es Neuigkeiten zum geplanten Grundlagenpapier und zum Normkonzept?
tk: Aus unserer Sicht zum aktuellen Zeitpunkt leider nicht. Geplant war, wie ich bereits zuvor erklärt habe, eine Info im Q3/2025. Dieser Zeitplan verzögert sich. Aber uns wurde zugesichert, als Hauptstakeholder zur ersten Anhörung eingeladen zu sein.
do: Das Grundlagenpapier ist in Erarbeitung und wird gemäss Zeitplan voraussichtlich im Q3 fertiggestellt. Anschliessend ist geplant, gewisse Stakeholder auf Verbandsebene im Rahmen einer Vorkonsultation frühzeitig vor der öffentlichen Konsultation einzubeziehen. Bei planmässigem Fortschritt der Arbeiten wird der Einbezug noch vor Ende 2025 erfolgen. Dieser vorläufige Zeitplan kann sich aber aufgrund der Komplexität der Arbeiten auch verzögern.
Die Branche befürchtet Qualitätseinbussen, wenn Fachkundigkeit in Frage gestellt wird. Wie wird diesen Befürchtungen entgegnet?
tk: Ok, grundsätzlich sollten wir doch einmal auf unsere Stärken aufbauen, das ist unsere Grundbildung und eben die HBB mit der Fachkundigkeit. Dass nach einer Revision plötzlich alle installieren dürfen oder wollen, glaube ich kaum. Manchmal müssen wir aber den Spiegel selbst vorhalten, denn aktuell wird mit Installationsbewilligung und Fachkundigkeit gearbeitet und doch stellen wir fest, dass über Qualität diskutiert werden kann.
do: Im Revisionsprozess wird sich zeigen, auf welche Weise die elektrische Sicherheit auf Verordnungsebene künftig optimal sichergestellt werden soll. Die für die Schweiz beste Lösung sollte im Interesse von allen sein. Der Schutz von Leib und Leben gehört zu den höchsten Rechtsgütern; dieser Schutz verlangt, dass Arbeiten an elektrischen Anlagen nur von dafür geeigneten und ausreichend qualifizierten Personen ausgeführt werden. Die Revision der NIV verfolgt deshalb ausdrücklich kein Absenken des Sicherheitsniveaus. Im Gegenteil: Ziel ist es, die Anforderungen an die Fachkompetenz so auszugestalten, dass sie praxisgerecht, risikoorientiert und zukunftsfähig sind.
Was wird sich in Bezug auf die Fachkundigkeit mit der Revision ändern?
do: Weder der Bund noch das ESTI können derzeit Angaben zu den Inhalten der laufenden Arbeiten machen.
Gibt es Überlegungen, die Fachkundigkeit stärker auf einzelne Tätigkeitsfelder oder Technologien (z. B. Photovoltaik, Elektromobilität etc.) auszurichten?
do: Weder der Bund noch das ESTI können derzeit Angaben zu den Inhalten der laufenden Arbeiten machen.
Wird es künftig unterschiedliche Grade oder Kategorien der Fachkundigkeit geben?
do: Weder der Bund noch das ESTI können derzeit Angaben zu den Inhalten der laufenden Arbeiten machen.
Welche Auswirkungen hätte eine neue Definition der Fachkundigkeit auf Elektroinstallationsfirmen und deren Personalplanung?
tk: Das kommt natürlich auf die Änderung an (lacht). Auch in Zukunft – unabhängig von der Regelung - werden auf dem Niveau der heutigen Fachkundigkeit ausgebildete EIT.swiss-Mitglieder die Kompetenzen für sichere, zuverlässige und qualitativ hochwertige Installationen haben. Der Umkehrschluss stimmt aber eben auch: Qualitative, sichere und zuverlässige Planung, Installation und Kontrolle bedürfen der Ausbildung auf dem Niveau der HBB. Ohne diese wird ein funktionierendes System mutwillig verschlechtert oder gar zerstört.
do: Weder der Bund noch das ESTI können derzeit Angaben zu den Inhalten der laufenden Arbeiten machen. Auswirkung von möglichen, hypothetischen Szenarien können im Rahmen der Vorkonsultation von allen Beteiligten erarbeitet werden.
Wie kann langfristig sichergestellt werden, dass die Fachkundigkeit mit der technischen Entwicklung Schritt hält?
tk: Schon jetzt gibt es in der Elektrobranche unzählige Weiterbildungen, deren Zahl stetig ausgebaut wird. Als Präsident von EIT.swiss erlebe ich täglich, dass sich unsere Mitgliedsfirmen auf dem Stand der Technik bewegen, offen sind für Neues und innovativ sind. Unsere Mitglieder nehmen die Fachkundigkeit sehr ernst. Es ist im Eigeninteresse jeder Firma, mit der Digitalisierung, den Aufgaben der Energiewende und der Gebäudeinformatik Schritt zu halten.
do: Die technische Entwicklung im Elektrosektor ist rasant – Stichworte sind bspw. E-Mobilität, Photovoltaik, Speicher, Smart Home und Digitalisierung. Damit die Anforderungen an die Fachkundigkeit Schritt halten, erscheint ein System, das nicht auf starre Vorgaben setzt, sondern dynamisch und risikoorientiert funktioniert, von Vorteil. Es ist offensichtlich, dass für eine Aufrechterhaltung oder eine Verbesserung der Qualität mit Blick auf die technische Entwicklung unter anderem auch Ausbildungs- und Weiterbildungsverantwortliche in der Pflicht sind.
Kann man sich eine neue Verteilung der Aufgaben vorstellen?
tk: EIT.swiss ist offen und bietet sich an, z.B. Prüfungen für die Gleichwertigkeit oder andere durchzuführen. Wir haben die nötige Infrastruktur, das Personal und die Erfahrung mit Prüfungen auf allen Niveaus.
do: Im Rahmen einer Totalrevision einer Verordnung wie der NIV ist es legitim zu prüfen, ob die heutige Verteilung der Aufgaben zwischen Staat, Aufsichtsbehörden, Fachverbänden und Marktakteuren noch zweckmässig ist. Die Bundesverfassung (Art. 36 BV) statuiert, dass Eingriffe in Grundrechte – etwa in die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) – nur zulässig sind, wenn sie verhältnismässig sind. Daraus folgt: Der Staat soll nur dort Aufgaben übernehmen, wo dies für die Sicherheit unabdingbar ist. Wo Eigenverantwortung oder private Strukturen dasselbe Ziel gewährleisten können, ist eine Übertragung oder Delegation von Aufgaben angezeigt.
Was ist aus Ihrer Sicht der wichtigste Punkt, damit die Revision ein Erfolg wird – für alle Beteiligten?
tk: Die Branche wünscht sich, integriert und respektiert zu werden. Der Fokus muss auf sicheren Installationen liegen und es dürfen nicht einzelne Anspruchsgruppen bevorzugt werden, nur weil diese im aktuellen politischen Umfeld gerade “en Vogue” sind.
do: Es ist wichtig, dass die Revision ein System schafft, das Sicherheit, Verhältnismässigkeit, Praxistauglichkeit und Zukunftsoffenheit in Einklang bringt. Die für die Schweiz beste Lösung sollte im Interesse von allen sein.
Thomas Keller, man sagt, dass Sie nur den Markt schützen zu wollen, stimmt das?
tk: Der Markt ist schon lange offen… und doch denke ich, es ist auch ein Anliegen der EVU’s, dass nicht jede und jeder drauflos wursteln kann und unsere Infrastruktur darunter leidet. Ich bin überzeugt und zuversichtlich, dass das BfE und das ESTI unsere Anliegen und Forderungen erkannt haben. Das ist kein Markschutz, sondern Grundlage für Sicherheit und Qualität. So kann eine Verordnung revidiert werden, die brauchbar ist und von der Elektrobranche umgesetzt werden kann. Und da sind wir von EIT.swiss der erste Ansprechpartner.
Gemäss aktuellem Stand, wann ist frühestens mit dem Inkrafttreten der revidierten NIV zu rechnen?
do: Die Revision der NIV wird durch das BFE als federführende Behörde vorbereitet, bitte dort nachfragen.
Was möchten Sie den Betrieben und Fachleuten mit auf den Weg geben, die sich jetzt mit Unsicherheit konfrontiert sehen?
do: Elektrizität ist für unseren Alltag heute wichtiger denn je. Um Versorgungssicherheit und Schutz vor Gefahren zu gewährleisten, sind sichere und moderne Elektroinstallationen sowie die entsprechende Fachkompetenz weiterhin essenziell und unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Betriebe und Fachleute sind entscheidend, um die Energiewende erfolgreich zu schaffen. Packen wir es an! Bleiben Sie innovativ, halten Sie ihr Wissen auf dem neuesten Stand der Technik und sehen Sie die Zukunft als Chance bzw. die Chancen der Zukunft.
Autorin: Verena Klink, erschienen im Magazin 04/25