KOF Konjunkturprognose: Fragile Erholung der Wirtschaft – zwei Szenarien für die weitere Entwicklung
Durch die Entspannung der Pandemiesituation im Sommer verbesserten sich auch die Vorzeichen für die wirtschaftliche Entwicklung. Mit der steigenden Zahl an Neuinfektionen nimmt die Unsicherheit jedoch wieder zu. Die KOF hat deshalb zwei Szenarien für den weiteren konjunkturellen Verlauf erstellt. Im Basisszenario rechnet sie dieses Jahr mit einem BIP-Rückgang von 3.6% (2021: +3.2%). Verschärft sich die Pandemiesituation allerdings weiter, ist mit einem Minus von 4.9% zu rechnen (2021: +1.5%).
Nach der schweren Rezession im ersten Halbjahr hat sich die Schweizer Wirtschaft im dritten Quartal 2020 teilweise wieder erholt. In vielen Branchen – etwa im Detailhandel – hat sich die Lage während des Sommers zwar entspannt. Trotzdem leiden die meisten Bereiche nach wie vor unter der aussergewöhnlichen Situation, insbesondere das Gastgewerbe oder der Transport (Verkehr). Da die Infektionszahlen im Moment deutlich ansteigen, nimmt auch die Unsicherheit über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie wieder zu. Die KOF präsentiert deshalb zwei Szenarien für die Konjunkturentwicklung.
Im Hauptszenario wird angenommen, dass die Zahl der Neuinfektionen in den Herbst- und Wintermonaten gegenüber dem Sommer höher liegt und die Schutzmassnahmen verschärft werden. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Erholung zwar ins Stocken gerät, es aber keine breit abgestützten Rückgänge wie im Frühjahr geben wird. In diesem Szenario prognostiziert die KOF für 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) um 3.6% (Prognose-Update August: -4.7%). 2021 ist dann wieder mit einem BIP-Wachstum von 3.2% zu rechnen (3.7%). Das Vorkrisenniveau wird nicht vor Ende 2021 erreicht. Dass die Prognose insbesondere für 2020 deutlich nach oben korrigiert wurde, liegt an neu berechneten, offiziellen Zahlen für die vergangene Entwicklung und einer positiveren Einschätzung des dritten Quartals 2020.
Im Negativszenario geht die KOF davon aus, dass sich die Pandemie im Herbst und Winter deutlich heftiger zurückmeldet und bis ins Frühjahr 2021 anhält. Um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, kommt es in diesem Szenario zu partiellen Lockdowns und Stilllegungen einzelner Geschäftszweige. Angenommen wird, dass die schwächere Wirtschaftsaktivität im In- und Ausland zu neuerlichen Einbrüchen der Nachfrage führt, die sich negativ auf die Produktion auswirken. Im Negativszenario rechnet die KOF für 2020 mit einem Einbruch des BIP um 4.9%. Die Erholung im nächsten Jahr fällt mit einem Wachstum von 1.5% deutlich schwächer aus als im Basisszenario. Das Vorkrisenniveau wird frühestens 2023 wieder erreicht.
Internationale Konjunktur: Erholung der globalen Produktion verlangsamt sich
Der Euroraum verzeichnete im zweiten Quartal einen BIP-Rückgang von fast 12% (nicht-annualisiert), mit entsprechenden Folgen für die Schweizer Exportwirtschaft. Mit dem zwischenzeitlichen Rückgang der Infektionszahlen und der Lockerung von Schutzmassnahmen erholt sich die Weltwirtschaft seit dem Frühsommer rasant. Trotzdem lag die globale Produktion Ende September gemäss Schätzungen der KOF immer noch rund 4% tiefer als vor der Rezession (aggregiert mit Schweizer Exportgewichten). Zudem verlangsamte sich die Erholung jüngst. Insgesamt wird die Produktion im Euroraum in diesem Jahr gemäss dem Basisszenario um 6.8% schrumpfen, gefolgt von einem kräftigen Zuwachs von 4.5% im nächsten Jahr. Für die USA sind Wachstumsraten von -4.2% (2020) und 3.7% (2021) zu erwarten, für das Vereinigte Königreich von -9.6% (2020) und 6.2% (2021).
Schweizer Pharmabranche wächst weiter – Verarbeitendes Gewerbe hart getroffen
Dass sich die Schweizer Wirtschaft im Vergleich zu vielen anderen Ländern bislang als widerstandsfähiger erwiesen hat, dürfte zum einen an den breit eingesetzten Stützungsmassnahmen (Kurzarbeit, Einkommensbeihilfen, COVID-19-Kredite) liegen. Hinzu kommt der grosse Anteil des Transithandels und der chemisch-pharmazeutischen Industrie, die beide wenig auf Konjunkturschwankungen reagieren. Letztere verzeichnete im zweiten Quartal 2020 ein Wachstum von 0.3% (nicht-annualisiert). Das Verarbeitende Gewerbe wurde hingegen massiv getroffen. Die Produktion in diesem Sektor schrumpfte um 10.3%. Insgesamt wird die Erholung in der Schweizer Industrie vor allem von der Lage in den wichtigsten Exportdestinationen abhängen. Trifft das Basisszenario der KOF ein, wird die Produktion dieses Jahr um knapp 5% schrumpfen und 2021 um rund 4% zunehmen.
Die Bauwirtschaft hat sich in der zweiten Jahreshälfte grösstenteils erholt. Im Verlauf des nächsten Jahres rechnet die KOF praktisch mit einer Stagnation der Bauproduktion. Auch ohne die Pandemie wäre es in dieser Branche zu einer Abkühlung gekommen, vor allem wegen der relativ schwachen Wohnbauaktivität. Nun dürfte die Corona-Krise zusätzlich den Wirtschaftsbau bremsen.
Privater Konsum fällt als Stütze weg – Sparquote der privaten Haushalte steigt stark
Im Detailhandel hat sich die Geschäftslage im Sommer deutlich entspannt, im September konnte sie zumindest gehalten werden. Laut den KOF Konjunkturumfragen ist die Lage im Moment ähnlich befriedigend wie vor der Pandemie. Innerhalb des Detailhandels tut sich allerdings ein Graben auf. Während Supermärkte, Warenhäuser sowie der Versand- und Onlinehandel klar besser dastehen als vor der Krise, leiden andere Bereiche wie der reine Lebensmittelhandel nach wie vor. Auch das Gastgewerbe ist von einer Normalisierung weit entfernt. Vor allem in den Berggebieten haben sich die Zahlen der Logiernächte im Sommer dank den inländischen Reisenden zwar teilweise erholt. Diese konnten das Fehlen der ausländischen Gäste aber nicht kompensieren. Da Reisewarnungen momentan wieder zunehmen, dürften auch im Herbst und Winter nur wenige ausländische Gäste in die Schweiz kommen. Beim Luftverkehr zeichnet sich ebenfalls eine Schwächephase ab, die bis zum Ende des Prognosezeitraums anhalten dürfte.
Die Investitionen waren in vergangenen Krisen aufgrund der höheren Unsicherheit jeweils stark rückläufig, was auch im Moment wieder der Fall ist. Der private Konsum spielte in früheren Rezessionen hingegen oft eine stützende Rolle. In der diesjährigen Rezession konnte er diese Aufgabe nicht übernehmen. Den privaten Haushalten fehlten während des Lockdowns schlicht die Möglichkeiten, im gewohnten Umfang zu konsumieren. Insgesamt dürfte der private Konsum dieses Jahr deshalb um 4% zurückgehen. Der Grossteil des nicht getätigten Konsums wird gespart. Die Sparquote (ohne Pensionsansprüche) dürfte deshalb auf 18.7% hochschnellen. 2019 hatte sie noch 13.8% betragen.
Arbeitsmarkt: Folgen der Krise erst nächstes Jahr sichtbar
Die Pandemie traf den Schweizer Arbeitsmarkt im zweiten Quartal mit voller Wucht. Die Erwerbstätigenzahl nahm im Vergleich zum Vorquartal saisonbereinigt um 2% ab. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Sommer kam deshalb überraschend. Verantwortlich dafür dürfte vor allem die Wirksamkeit der Kurzarbeit sein. Für eine Entwarnung ist es aber zu früh: Die Zahl der Beschäftigten in Kurzarbeit ist immer noch hoch und einige Unternehmen profitierten im Sommer von Sondereffekten – wie Teile des Detailhandels, der auf Nachholeffekte beim Konsum zählen konnte. Da diese Sondereffekte auslaufen und es zu Entlassungen von Angestellten kommen dürfte, die gegenwärtig in Kurzarbeit sind, ist mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu rechnen. Die KOF erwartet eine Arbeitslosenquote gemäss SECO von 3.2% in diesem und 3.6% im nächsten Jahr.
Bei den Löhnen dürfte die Krise erst 2021 spürbar werden. In diesem Jahr profitieren viele Angestellte davon, dass die Lohnverhandlungen im letzten Herbst unter recht verheissungsvollen Konjunkturvorzeichen stattfanden. Ausserdem führen die sinkenden Konsumentenpreise zu relativ kräftigen Kaufkraftgewinnen der Haushalte. Die Reallöhne gemäss Schweizerischem Lohnindex (SLI) dürften dieses Jahr deshalb um 1.1% steigen. Im kommenden Jahr werden die Reallöhne mit 0.1% nahezu stagnieren.