Folge 1: Klettern bei minus 20 Grad

Sie sind die Personen, die dafür sorgen, dass wir auch dann noch die Siegerfahrten der Schweizer Skifahrer im Fernsehen verfolgen können, wenn draussen eine Lawine den Strommast beschädigt hat. In einem Bergkanton wie Graubünden ist ein funktionierendes Stromnetz manchmal eine besondere Herausforderung, wie das Beispiel von Repower zeigt.

Brunhilde hat ganze Arbeit geleistet: zerstörte Leitung im Prättigau. Bild: Repower.

Es ist eine Arbeit für harte Frauen und Männer. Dies gibt Rolf Cantieni, Leiter Ausführung Nord, Netzelektrikermeister bei Repower, unumwunden zu. Im Gegensatz zu den Elektroinstallateuren dürften Netzelektriker keine Höhenangst haben, wenn sie auf einem Strommast etwas an einer Leitung montierten. Sie hätten es auch mit grösseren Querschnitten an Kabeln und mit grösseren Schrauben und Werkzeugen zu tun. Mit der Digitalisierung halten neue Arbeitsmethoden im Berufsfeld des Netzelektrikers Einzug, zugleich werden weiterhin Arbeiten mit Steigeisen und schweren Werkzeugen ausgeführt. Während der Elektroinstallateur die Arbeit im Haus macht, ist der Netzelektriker für alles, was davor geschieht, zuständig, also für die Leitungen vom Kraftwerk bis zum Hausanschluss. Der Arbeitsbereich erstreckt sich über alle Spannungsebenen – von der Hochspannung bis zur Niederspannung. Und trotzdem sind die Berufe miteinander verwandt. Bei Repower haben einige Mitarbeiter eine Ausbildung als Elektroinstallateur im Gepäck und haben sich für die Anforderungen beim Netzbau umgeschult. Wer Wind, Wetter und Abenteuer liebt, ist hier in Graubünden gut aufgehoben. «Wenn bei Unwettern selbst der Helikopter nicht mehr an sehr abgelegene Störungsorte fliegen kann, fahren unsere Leute mit dem Geländefahrzeug so nahe wie möglich heran. Dann kann es heissen: Felle an die Ski montieren oder Schneeschuhe anziehen, die persönliche Schutzausrüstung von mehreren Kilogramm einpacken und zusätzlich Material für die Reparatur schultern. So bepackt folgt nicht selten ein langer Aufstieg im Tiefschnee. Manchmal muss aus Sicherheitsgründen sogar ein Bergführer mitkommen.» Rolf Cantieni koordiniert zusammen mit seinem Fachführungsteam diese Arbeiten. Immerhin verfügt das von Repower im Norden des Kantons mit Strom versorgte Gebiet in der Surselva und im Prättigau über 3500 Strommasten, und zwar von einfachen Holzmasten im Bereich der Niedrig- oder Mittelspannung bis zu Stahl- und Gittermasten im Bereich der Hochspannung. Die entsprechenden Leitungen führen zu einem anspruchsvollen Wartungsaufwand, denn zuerst gelte es, möglichen Stromausfällen – etwa durch niederstürzende Bäume – vorzubeugen. «Dafür inspizieren wir regelmässig das 433 Kilometer lange Freileitungsnetz, erstellen eine Mängelliste und arbeiten sie ab. Oft müssen Bäume in der Umgebung gefällt und Leitungsteile erneuert werden. Wegen der vielen Leitungen durch zum Teil unzugängliches Gebiet muss der Pikettdienst häufig zu aufwendigen Störungsbehebungen ausrücken. Bei den zum Teil sehr langen Leitungen im gebirgigen Gebiet könne es schwierig sein, einem Störungsort auf die Schliche zu kommen. Dann müsse die Störungsstelle mit mehreren Umschaltungen und Kurzabschaltungen langsam isoliert werden, bevor die Reparaturequipe wie bei einem Feuerwehreinsatz losfahren kann. Für die noch versorgten Konsumenten ist dies mit einem kurzen Unterbruch oder einem Lichtflackern verbunden.

Herausforderung Burglinde
Im Januar vor einem Jahr musste ein Team die Ausführungskollegen im Süden auf dem Ofenpass bei der Erstellung eines Notmastes unterstützen. Die Temperaturen bewegten sich zwischen minus 15 und minus 20 Grad. «Wie man eine Schraube anziehen kann? Natürlich tragen die Mitarbeiter Handschuhe von bester Qualität. Aber wer täglich im Freien arbeitet, gewöhnt sich an die äusseren Bedingungen », erklärt Cantieni. Das bergige Gebiet in Graubünden birgt mehr Naturgefahren als etwa die Kantone Zürich oder Aargau. Häufige Störungsursachen sind im Winter ein grosser Schneedruck auf die Strommasten, aber auch Lawinen. Im Sommer sind es Murgänge und starke Gewitter mit Sturmböen. Dass eine solche Situation oft von Unwettern begleitet ist und Strassen unpassierbar werden, macht es für das Netzelektrikerteam nicht einfacher. Eine besondere Herausforderung waren die Wetterverhältnisse, in die der Sturm Burglinde eingebettet war. Die Equipe um Rolf Cantieni wusste fast nicht mehr wie ihr geschah. «Zuerst fegte am 3. Januar 2018 der Sturm Burglinde über Graubünden, entwurzelte Bäume, die auf Leitungen und Masten fielen und alles beschädigten. Bevor wir an die Reparatur denken konnten, kühlte es ab und ein Meter Neuschnee fiel. Die Lawinengefahr stieg, Strassen wurden gesperrt. Dann fiel Regen auf den Schnee, was ihn schwer machte, und es brachen noch mehr Bäume ein.

Gesundheit der Mitarbeiter an erster Stelle
Insgesamt gab es 20 Schadenplätze. Vor allem das Prättigau war stark betroffen. «Meine Leute und ich waren intensiv beschäftigt. Eine Ortschaft war 48 Stunden ohne Strom. Ich priorisierte mit meinen Vorgesetzten direkt vor Ort die Massnahmen. Gleichzeitig musste ich für Ruhephasen sorgen, um die Gesundheit der Mitarbeiter nicht zu gefährden. Um dies zu gewährleisten, musste ich alle verfügbaren Kräfte organisieren. Auch Angestellte, die in den Ferien waren, wurden zurückgerufen.» Zudem wurden wir von unseren Kollegen aus der Ausführungsabteilung im Süden unterstützt. Die Mitarbeitergesundheit und deren Sicherheit sind ein wichtiges Thema. Im Juli zog ein heftiges Gewitter durch das Versorgungsgebiet. Mehrere Blitze schlugen in Mittelspannungsleitungen ein und sorgten für Überspannungen. Beschädigte Isolatoren oder andere Anlageteile können in einer solchen Wettersituation nicht repariert werden. Dies geschehe erst, wenn sich die Lage beruhigt hat, wenn die Blitzgefahr gebannt sei. Cantieni: «Weil die Sicherheit der Mitarbeiter an oberster Stelle steht, muss mein Team die Situation bei schwierigen Wetterlagen immer wieder neu beurteilen.» Die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ist eine Rund-um-die-Uhr-Aufgabe. Das sei vielen nicht bewusst, gibt der Netzelektrikermeister zu bedenken: «Wenn Naturereignisse wüten und man sich gemütlich im Fernsehen Sportsendungen anschaut, dann stehen vielfach unsere Pikett- und Reparaturequipen im Einsatz. Es ist eine Aufgabe, die in der Bevölkerung nicht immer wahrgenommen wird, aber an Bedeutung gewinnt, da unser aller Leben eng mit der elektrischen Energie verknüpft ist.»

«Weil die Sicherheit der Mitarbeiter an oberster Stelle steht, muss mein Team die Situation bei schwierigen Wetterlagen immer wieder neu beurteilen.»

Rolf Cantieni, Leiter Ausführung Nord, Netzelektrikermeister bei Repower.