Dem Bundesrat fehlt die Gesamtschau

In der Energiediskussion rückt zunehmend die Sorge um die künftige Versorgungssicherheit im Bereich Elektrizität ins Zentrum.

Die aktuell debattierten Fragen hat die FDP bereits 2016 in einem Fraktionspostulat aufgebracht, ist damit aber im Nationalrat gescheitert. Damals wie heute gehen die Vorstellungen weit auseinander, wie die Versorgungssicherheit künftig sichergestellt werden kann. Im Rahmen des vom Bundesrat lancierten Mantelerlasses zur Revision des Energie- und Stromversorgungsgesetzes ist unter anderem vorgesehen, die Kapazitäten im Bereich der erneuerbaren Energien zu erhöhen, indem die Fördergelder weiterhin fliessen sollen. Dazu wird wie bisher ein Netzzuschlag von 2.3 Rp./kWh erhoben. Zur Absicherung der Winterversorgung ist zusätzlich ein Netzzuschlag von 0.2 Rp./kWh vorgesehen.

Da ein Risiko besteht, dass die Beratung zur Revision des Energie und Stromversorgungsgesetzes nicht rechtzeitig abgeschlossen wird, hat das Parlament parallel ein Überbrückungsgesetz (Pa.Iv. 19.433 Girod) unter Dach und Fach gebracht. Dadurch wird das «weiter wie bisher» zementiert, bevor eine Gesamtsicht der Problemlage vorliegt. Gleichzeitig bleibt aber die Forderung auf dem Tisch: Eine dauerhafte Subventionierung bestimmter Technologien ist zu vermeiden. Dabei sei an das Versprechen im Rahmen der Energiestrategie 2050 erinnert, wo der Stimmbevölkerung der Ausbau der Förderung der Erneuerbaren über den Netzzuschlag lediglich als «Anschubfinanzierung» mit Enddatum verkauft wurde (Sunset Clausel). Sollte eine Fortführung des aktuellen Netzzuschlags nun unvermeidbar bleiben, ist es daher wichtig, dass dieser gezielt für die Versorgungssicherheit eingesetzt wird. Gleichzeitig bleibt die Wahrung der Technologieneutralität, die Schaffung von besseren Anreizen über marktwirtschaftliche Lösungen und die Erhöhung der Wirksamkeit zentral.

Ein Schlüssel dazu ist die vollständige Strommarktöffnung. Mehr Markt bedeutet mehr Wahlmöglichkeiten für die Stromkunden, mehr Innovation (z. B. zugunsten von «Prosumer-Gemeinschaften»), bessere Vermarktungsmöglichkeiten für erneuerbare Energien und die vollständige Integration in den EU-Strommarkt. Für eine sichere Energieversorgung gehen Förderung und Marktöffnung Hand in Hand. Alle Kundinnen und Kunden sollen frei entscheiden können, welchem Anbieter sie vertrauen. Bisher herrscht am Strommarkt aber eine Zweiklassengesellschaft – die freie Anbieterwahl ist grossen Unternehmen vorenthalten. Die marktwirtschaftlichen Elemente müssen zugunsten des Umbaus der Energieversorgung dringend gestärkt werden. Auch müssen die Synergien mit den geeigneten Instrumenten in der Klimapolitik besser genutzt werden. Denn nur in einer gesamtheitlichen Sicht kann Klima- und Energiepolitik sich gegenseitig positiv beeinflussen. Stattdessen hat sich der Bundesrat bei der Energie- und Klimapolitik verzettelt und die Standortpolitik aus den Augen verloren. Eine Vielzahl von Vorlagen, Berichten, Konzepten und Strategien erschweren eine gesamtheitliche Sicht, ganz im Sinne: Papier ist geduldig. Daneben gibt es offene Punkte, die rasch in die Hand genommen werden müssen. Der Bundesrat soll endlich eine ehrliche Gesamtschau vorlegen, die es erlaubt, Kohärenz zwischen Klima-, Energie- und Standortpolitik zu schaffen. Nur so kann das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Energiepolitik zurückgewonnen werden.

Matthias Samuel Jauslin
ist seit 2015 Mitglied des Nationalrats, Mitglied der Kommission Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK-N) sowie Mitglied der Geschäftsprüfungskommission. Er ist Geschäftsführer und Hauptaktionär eines Unternehmens, das im Bereich Elektroanlagen, Telematik und Automation tätig ist.